FOTO: BEN HEIM SHEPARD

»EIN HASHTAG KANN ALLE VERBINDEN«

Der New Yorker Fotograf und Aktivist Ken Schles hat auf Instagram die Protestbewegungen in den USA dokumentiert. Ein Gespräch über Engagement, digitale Communities und was er von Joe Bidens Präsidentschaft erwartet. VON PAULA MICHALK

21. Dezember 2020

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In HALLE4 lesen sie eine leicht gekürzte Fassung eines Gesprächs mit Ken Schles, das im Rahmen des #KenSchlesTakeover live auf Instagram entstand. Das Gespräch ist in voller Länge im Instagram-Kanal @deichtorhallenhamburg zu sehen.

HALLE4: Ken, engagierst du dich bei allen Protestaktionen, die du fotografierst und deren Bilder du auf Instagram postest?

Ken Schles: Ich habe mich seit der Wahl von Trump 2016 ziemlich durchgehend an Protesten beteiligt, mit einigen Unterbrechungen infolge des Corona-Lockdowns. Ich finde es sehr wichtig, Stellung zu beziehen und sich zu engagieren und nicht passiv zuzuschauen, wie demokratische Institutionen untergraben werden. Was mir in meinem gesamten Werk wichtig ist, ist das persönliche Engagement. Ich glaube, dass ich nur über meine eigenen Erfahrungen etwas aussagen kann. Meine Arbeiten sind Ausdruck meines Dabeiseins und meiner persönlichen Interpretation einer bestimmten Situation – was allerdings mit Partizipation und ziemlich viel Subjektivität einhergeht.

An welcher Art von Protesten beteiligst du dich hauptsächlich?
Es geht mir vor allem um Fragen der sozialen Gerechtigkeit und der Umwelt. Die Proteste sind alle prodemokratisch. Persönlich engagiere ich mich für gewaltfreie Vorhaben, die auf eine stärker auf Gleichheit beruhende, gerechtere Gesellschaft hinarbeiten. Ich lege meinen Schwerpunkt auf die Bürger*innenrechte sowie den gleichberechtigten Zugang zur medizinischen Versorgung und ich setze mich für eine intakte Umwelt ein. Das sind alles Dinge, die in demokratischen Gesellschaften als selbstverständlich zu gelten scheinen, auch wenn ich weiß, dass diese ständig neu ausgehandelt werden.

Welche Entwicklung macht dir momentan am meisten Sorgen?
Zu meinen größten Ängsten gehört die zunehmende Hinwendung zum Autoritarismus in diesem Land. Ich beobachte, wie dieses Land sich mehr und mehr zu einer weniger demokratischen Gesellschaft entwickelt. Die Corona-Pandemie hat aufgezeigt, wie ungleich die Verhältnisse tatsächlich sind. Wir können deutlich erkennen, wessen Interessen geschützt werden und wessen Leben weniger wert ist.

Ken Schles: Foto aus dem Instagram-Account @kenschles, gepostet am 10. August 2020 © Ken Schles

Was erwartest du von der neuen Regierung und der Präsidentschaft Joe Bidens?
Der Ausgang der Wahl war knapper als es jemandem mit demokratischen Vorstellungen lieb sein kann. Es gibt viele Probleme, die sich nicht einfach durch die Wahl Bidens lösen lassen. Trump wird weiterhin eine große Gefolgschaft haben. Die Republikaner*innen benehmen sich noch genauso ungeniert und folgen dem von Trump vorgegebenen Pfad. Ich bin voller Hoffnung, aber ich bin auch Realist. Im Moment sieht es so aus, als ob wir weiterhin ein divided government haben, das heißt die Mehrheit im Kongress entspricht nicht der Parteizugehörigkeit des Präsidenten.

Dies wird auch dem zukünftigen Präsidenten die Gesetzgebung erschweren.

Die von der weit rechts stehenden Basis beeinflussten Republikaner*innen bemühen sich nach Kräften, das System zu zerstören und ihre Macht zu konsolidieren. Sollte Mitch McConnell nach den Stichwahlen in Georgia am 5. Januar 2021 immer noch Mehrheitsführer im Senat sein, wird es meiner Meinung nach für Biden sehr schwierig werden, die strukturellen Schäden rückgängig zu machen, die den demokratischen Institutionen nicht nur durch Trump, sondern der Demokratie an sich zugefügt wurden. Ich glaube, dass Biden mittels Präsidentenverfügungen in der Lage sein wird, die schlimmsten von Trump angeordneten Maßnahmen aus der Welt zu schaffen. Aber gegen die antidemokratischen Gegenwinde wird einiges an harter Arbeit zu leisten sein.

Wie kam es dazu, dass du regelmäßig Fotografien auf einer digitalen Plattform wie Instagram postest?
Kunst, die bei einem Publikum auf Resonanz trifft, gewinnt dadurch an Kraft. Es ergibt sich ein fortwährender Dialog mit den Menschen. Es ist auch ein Dialog der Ideen. Wenn man Kunst macht, muss man sie in einem öffentlichen Raum vorstellen. Sie braucht ein Publikum, Veranstaltungsorte, Bücher oder Wände. Das Internet ist ein zusätzlicher Raum, an dem man Ideen ausarbeiten kann. Wegen seiner Unmittelbarkeit ist es ein wunderbarer Ort für den fortdauernden Austausch über zeitgenössische Themen.

Ken Schles: Foto aus dem Instagram-Account @kenschles, gepostet am 2. November 2020 © Ken Schles

Du hast eine Kunstakademie besucht, bevor du die Fotografie für dich entdeckt hast.
Das stimmt, ich war allerdings bald sehr frustriert, weil ich merkte, dass Malen zur Vereinsamung führt. In der Fotografie sah ich ein Mittel, um mit der Welt in Dialog zu treten und mit ihr zu interagieren, ohne mir Sorgen wegen meiner Maltechnik machen zu müssen. Es war für mich ein Weg, mich mit Ideen auseinanderzusetzen. Auf Instagram poste ich ein Bild mit Text oder lade eine Serie von Fotografien hoch. Für mich ist die Erfahrung nicht so umfassend wie bei einem Fotobuch, aber das muss auch gar nicht sein. Es ist anders, aber es geht immer noch darum, Ideen zu sammeln, sie zu ordnen und zusammenzufügen und sie für mich und andere Leute zu verdeutlichen.

Warum hast du dich entschieden, Deine Instagram-Posts mit Hashtags zu versehen?

Es ist eine Möglichkeit, das Werk mit anderen Aussagen zum selben Thema zu verknüpfen. Leute, die Proteste organisieren, überlegen sich häufig ein spezielles Hashtag, um die Stimme des Protests zu verstärken. In den »guten alten« Zeiten war ein Protest auf jene beschränkt, die an einer Demonstration teilnehmen konnten oder auf jene, die sich direkt mit dem Thema befassten. Der Protest war durch Raum und Zeit begrenzt. Wenn die Presse nicht darüber berichtete, konnte die Aktion leicht übersehen oder vergessen werden. Mit Hashtags kann die Wirkung eines einzelnen Protests durch weitere Aktionen über Zeit und Raum hinweg verstärkt oder in Echtzeit auf der ganzen Welt erlebt werden. Die Aktionen im Zusammenhang mit dem Tod von George Floyd fanden ihren Widerhall überall in der Welt. Etwas Vergleichbares gab es zuvor nicht. Mit den Hashtags konnte man alle miteinander verbinden.

Du verwendest auch eher Hashtags, die sonst nicht so geläufig sind.

Manchmal setze ich Hashtags gern poetisch ein. Ich frage mich, wie ich den Gehalt dessen, wovon ich rede, auf den Punkt bringen kann. Manchmal ist das Ergebnis kein übliches Hashtag, bringt aber meine Gefühle in dem Moment zum Ausdruck.

Ken Schles: Foto aus dem Instagram-Account @kenschles, gepostet am 8. Juni 2020 © Ken Schles

Gibt es auch so etwas wie eine Community im Zusammenhang mit diesen Hashtags? Treten die Leute mit dir in Kontakt, indem sie dasselbe Hashtag benutzen?
Ich glaube, jegliche Community ist sehr flüchtig. Die Verwendung von Hashtags ist für kurzlebige Prozesse geeignet, zum Beispiel für das Posten von Neuigkeiten, die eine Tendenz zum Trend haben. Das funktioniert für einige Stunden. Es kann dich zu einem bestimmten Zeitpunkt mit anderen Leuten verbinden oder auf andere Konflikte im Land aufmerksam machen, die zum selben Themenbereich gehören. Ich glaube aber, dass eine echte Community schon vorher da sein muss oder nach und nach aufgebaut wird. Alle echten Communitys brauchen Zeit, um sich richtig zu entwickeln.

In diesem Jahr veröffentliche das Kunstmagazin Monopol seine Liste der 100 wichtigsten Kunstschaffenden und Persönlichkeiten der Kunstwelt. Die Black-Lives-Matter-Bewegung schaffte es auf den ersten Platz. Wie bewertest du diese Entscheidung?
Das BLM-Movement gewann 2014 in Ferguson, Missouri an Zugkraft. Die Bewegung begann in der realen Welt und wurde, nachdem sie ins Internet gezogen war, zu einer schöpferischen Kraft für viele Menschen, die viele Meinungen vertraten und viele Ansätze hatten. Die Bewegung brauchte Jahre, um Fuß zu fassen und auf Akzeptanz zu stoßen. Die Bewegung war in vielfältigen Communitys unterwegs. Als George Floyd getötet wurde, ging diese Saat auf und drängte sich ins öffentliche Bewusstsein. Ich finde es großartig, dass eine lockere Gruppierung mit zahlreichen Facetten als ein einheitlicher Kunstproduzent angesehen werden kann.

Wie ist es für dich, in diesen Zeiten als Fotograf ständig auf der Straße zu arbeiten?
Ich sehe mich nicht als Straßenfotografen, aber ich finde es interessant, in einem öffentlichen Raum zu sein. Die Proteste haben auch einen performativen Aspekt. Als ich meine Serie Invisible City schuf, fotografierte ich eine Gruppe von Performance-Künstler*innen auf der Straße, in ihrem Zuhause und während ihrer Performances. Ich kann nicht anders, als den performativen Aspekt, den ich dabei beobachtete, mit den performativen Aspekten zu verknüpfen, die ich auch jetzt bemerke. Jegliches kommunikative Verhalten und alle kommunikativen Aktionen sind zu einem mehr oder weniger starken Grad performativ. Wir sprechen zu den Anderen füreinander, aber auch für uns selbst.

Übersetzung: Susanne Bosch-Abele

Paula Michalk hat Kunstgeschichte in Freiburg und am Courtauld Institute of Art in London studiert. Sie arbeitete für die Sammlung Rosengart in Luzern sowie für Sotheby’s in Frankfurt und London. Derzeit absolviert sie ein Volontariat als kuratorische Assistentin für das Haus der Photographie der Deichtorhallen Hamburg.

Die Ausstellung #PROTESTSGOVIRAL ist noch bis zum 28. Februar 2021 im Haus der Photographie zu sehen.


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